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Neurojackpot

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Pain Reprocessing Therapy

Ziel der Pain Reprocessing Therapy ist es, im Hirn neue neuronale Strukturen zu bilden, um Schmerzsymptome wieder zu verlernen. PRT ist eine konkrete Behandlungsmethode, die sich aus dem Mind Body Verständnis ableitet und die wir hier als eine Art Grundgerüst nutzen für den Prozess, von chronischen Schmerzen & Symptomen zu heilen.

Pain Reprocessing Therapy (PRT) ist ein System psychologischer Techniken, mit dem das Hirn darauf trainiert wird, auf die Signale des Körpers angemessen zu reagieren und so den Kreislauf der chronischen Schmerzen & Symptome zu durchbrechen.

Die Wirksamkeit von PRT wurde wissenschaftlich untersucht und bestätigt, so zum Beispiel in der “Boulder Back Pain Study”. Die Studie hat gezeigt, dass PRT chronische Schmerzen beseitigen oder stark reduzieren und unser Hirn tatsächlich verändern kann. Die fMRI-Ergebnisse zeigten unter anderem eine verringerte Aktivität im anterioren präfrontalen Kortex, im anterioren midcingulären Kortex und in der anterioren Insula. Diese Bereiche dienen dazu, den Empfindungen im Körper einen Sinn zu geben.1 In Folge 5 vom Podcast ‘Muss das so wehtun?’ gehen wir näher auf die Studie und deren Bedeutung für die Behandlung von chronischen Schmerzen & Symptomen ein.

PRT setzt sich aus folgenden Grundpfeilern zusammen und kann bei chronischen Schmerzen wie auch bei chronischen Symptomen angewendet werden2-4:

Wissen aneignen und Schmerz verstehen

[Bild: wissen]

Zu Beginn wird Wissen vermittelt, denn Wissen ist Macht. Es wird erklärt, dass chronischen Schmerzen oft keine strukturellen oder biochemischen Ursachen zugrunde liegen und sie kein guter Indikator dafür sind, dass etwas im Körper nicht in Ordnung ist. Wenn man versteht, dass chronische Schmerzen ein Fehlalarm und das Resultat von reversiblen neurophysiologischen Lernprozessen sind, können bereits diverse Ängste reduziert werden. Das hilft dabei, den Schmerz-Angst Kreislauf zu durchbrechen. Es ist erwiesen, dass allein Aufklärung eine erfolgreiche Therapiemöglichkeit darstellt. Studien zeigen, dass ein korrektes Verständnis von Schmerz zur Verringerung von Symptomen führt, die Funktionalität und Mobilität steigert, Ängste reduziert und das Nervensystem beruhigt5-8.

Weil ein fundiertes Verständnis von chronischen Schmerzen & Symptomen die Voraussetzung für eine erfolgreiche Behandlung ist, gehen wir im Abschnitt in Tiefe ins Detail und fassen die jüngeren Erkenntnisse der Schmerzforschung zusammen.

Persönliche Situation analysieren und sich davon überzeugen, dass die chronischen Schmerzen & Symptome neuroplastisch sind

Zunächst geht es darum herauszufinden, ob es sich um neuroplastische Schmerzen & Symptome handelt. Falls sich dieser Verdacht bestätigt, wird an der Verinnerlichung dieser Erkenntnis gearbeitet. Dies kann sehr herausfordernd sein, da einige Hürden zu überwinden sind:

  • Das Hirn ist in der Lage, jede beliebige Empfindung im Körper völlig unabhängig von sensorischem Input zu erzeugen und somit auch jegliche Arten von Schmerzen & Symptomen9.
  • Biologie: Evolutionsbedingt ist unser Hirn darauf programmiert, Schmerzen als strukturelle Verletzung zu interpretieren, um sie möglichst rasch entsprechend zu behandeln und zu heilen.
  • Frühere Diagnosen: Oft liegen Diagnosen vor, die jedoch in Realität keinen Zusammenhang mit den Schmerzen aufweisen10.
  • Konditionierung: Viele Betroffene haben konditionierte Reaktionen auf Positionen (Sitzen, Stehen, …) und Aktivitäten (Gehen, Bücken, …) entwickelt. Solche Assoziationen verstärken die Überzeugung, dass es sich bei den Schmerzen um ein strukturelles Problem handelt.
  • Stigma: Oft wird von der Aussage “Schmerz entsteht im Hirn” darauf geschlossen, dass neuroplastische Schmerzen eingebildet sind. Und wer will schon “schwach” dastehen und sich Schmerz eingebildet haben? Insbesondere wenn man in der Vergangenheit mit seinen Beschwerden nicht ernst genommen wurde.

[Bild: Liste] Wir suchen also nach Indizien und Beweisen dafür, dass es sich um neuroplastische Schmerzen & Symptome handelt. Das Zusammenstellen und die spätere Konsultation dieser persönlichen Liste soll dabei helfen, die Überzeugung zu überwinden, dass es sich bei den Symptomen um ein strukturelles oder organisches Problem handelt. Zuerst wird diese Erkenntnis rational erfasst, später auch auf einer emotionalen, unterbewussten Ebene verinnerlicht.

Folgende Indizien können auf dieser Liste erscheinen (siehe auch den Blogbeitrag für weiterführende Informationen)11:

  • Die Schmerzen traten erstmals in einer stressigen Zeit auf.
  • Die Schmerzen entstanden ohne wesentliche Verletzung oder Erkrankung.
  • Die Schmerzen sind inkonsistent. Wir suchen also nach Ausnahmen. Treten die Schmerzen in der Regel bei einer bestimmten Aktivität auf, aber manchmal gibt es Ausnahmen? Gibt es Variationen in der Intensität abhängig von Tageszeit, Wochentag, …?
  • Es gibt mehrere somatische Symptome in verschiedenen Körperregionen und Untersuchungen führten zu keiner klaren Diagnose, welche die Symptome erklären würden.
  • Die Symptome breiten sich aus oder bewegen sich von einer Stelle zur nächsten.
  • Die Symptome werden durch Stress ausgelöst oder verstärkt.
  • Die Symptome verändern sich aufgrund von Einflüssen, welche nicht direkt etwas mit dem Körper zu tun haben. (Wetter, Geräusche, Gerüche, …)
  • Symmetrische Symptome, wie z.B. Schmerzen in beiden Handgelenken, Knöchel, Knien, …
  • Verspätete Schmerzen: Schmerzen treten erst nach Abschluss einer Aktivität auf.
  • Traumata in der Biografie - Nebst Schocktraumata (Gewalt, Vernachlässigung…) auch Entwicklungstraumata. Alle Erfahrungen, welche zu einem anhaltenden Gefühl von Unsicherheit führen, erhöhen das Risiko für chronische neuroplastische Schmerzen. (z.B. das Gefühl den Eltern nicht zu genügen, das nicht Erfahren bedingungsloser Liebe, Aussenseiterrolle in der Schule, ungünstige Persönlichkeitsstruktur von Bezugspersonen, …)
  • Persönlichkeitszüge, welche das Hirn in einen Alarmzustand versetzen, erhöhen das Risiko für chronische, neuroplastische Schmerzen & Sympotome. Zum Beispiel: - Perfektionismus, übertriebene Gewissenhaftigkeit und Selbstkritik - “People Pleasing” - das Bemühen, andere Leute nicht zu enttäuschen. - Ängstlichkeit
  • Keine klare Diagnose. Konnte trotz Untersuchungen keine klare Diagnose gefunden werden, ist das ein starkes Indiz für neuroplastische Symptome. Das Umgekehrte gilt allerdings nicht zwingend. Gemäss dem Motto “wer sucht der findet”, erhielten die meisten Patienten mit neuroplastischen Schmerzen auf ihrem Weg auch Diagnosen, welche auf strukturelle Probleme hinwiesen. In vielen Fällen bestehen zwar strukturelle Anomalien, diese sind aber nicht der Grund für die Schmerzen.

Wenn nun einige dieser Punkte zutreffen, ist das ein starkes Indiz für neuroplastische Schmerzen & Symptome. Selbst wenn sich jemand darin nicht auf den ersten Blick wiedererkennt, könnte es sich dennoch um neuroplastische Schmerzen handeln. Neuroplastische Schmerzen sind sehr gut darin, strukturelle Schmerzen nachzuahmen. Manchmal erkennen Betroffene die persönlichen Indizien erst Schritt für Schritt, wenn sie sich mit den Themen von PRT auseinandersetzen.

Sobald akute strukturelle Probleme oder Krankheiten - welche eine sofortige medizinische Intervention erfordern - ausgeschlossen sind und jemand motiviert ist, sich darauf einzulassen, gibt es keinen Grund, der dagegen spricht, sich vertieft mit dem Mind Body Verständnis auseinanderzusetzen und den daraus abgeleiteten Behandlungsmethoden eine Chance zu geben.

Somatic Tracking

[Bild: somatic-tracking]

Somatic Tracking ist die zentrale Übung der PRT. Das Ziel von Somatic Tracking ist, die eigene Wahrnehmung von Schmerz und die Reaktion darauf zu verändern und so den Teufelskreis von Angst und Schmerz zu durchbrechen. Es handelt sich dabei um eine spezifische Achtsamkeitsübung, bei der gelernt wird, die chronischen Schmerzen aus einer sicheren Perspektive zu betrachten. Wichtig ist, dass es nicht das Ziel ist, unmittelbar bei der Anwendung Schmerzen zu reduzieren. Vielmehr werden im Hirn langfristig durch Wiederholungen neue neuronalen Pfade gebildet. Das Hirn lernt dabei Stück für Stück, dass keine Gefahr droht und es somit keinen Grund gibt, mit Schmerz zu warnen.2

Angefangen wird damit, die Empfindung zu beschreiben.

Ist sie punktuell oder ausgedehnt?

Dumpf oder stechend?

Ist es vielleicht kribbelnd?

Ist es drückend?

Dabei wollen wir nichts unmittelbar verändern oder beeinflussen, sondern nur beobachten.

Wir möchten dabei ein Gefühl der Leichtigkeit und Neugier entwickeln. Etwa so, wie wir eine vorbeiziehende Landschaft während einer Zugfahrt betrachten oder beim Schnorcheln einen Schwarm Fische beobachten.

Wenn sich die Empfindung dabei von selbst ändert, ist das ok. Vielleicht nimmt sie eine andere Qualität an, vielleicht bewegt sie sich, vielleicht wird sie stärker oder schwächer, aber vielleicht bleibt sie auch genau gleich.

Was immer passiert, ist ok.

Zusätzlich zum achtsamen Beobachten vergegenwärtigen wir uns laufend, dass von der wahrgenommenen Empfindung keine Gefahr ausgeht und im Körper nichts kaputt ist. Dass der Körper neutrale Empfindungen registriert und das Hirn diese aber fälschlicherweise als gefährlich einstuft und wir sie deshalb als schmerzhaft erleben.

Bei der angeleiteten Variante von Somatic Tracking ist die dritte Komponente das Induzieren eines positiven Affektes. Das tönt etwas hochgestochen, aber im Wesentlichen besteht dieses psychologische Konzept darin, dass gezielt die Stimmung gehoben wird (z.B. durch Humor). Das hilft dabei, Leichtigkeit zu entwickeln, um Empfindungen aus einer sicheren Perspektive betrachten zu können.

Auf der Webseite des Pain Psychology Centers gibt es ein Beispiel eines 8-minütigen Somatic Tracking von Alan Gordon (englisch).

Hinweise zur Anwendung

Es ist normal, wenn es am Anfang schwierig ist, während der Beobachtung die beschriebene Leichtigkeit zu entwickeln. Davon sollten wir uns aber nicht entmutigen lassen. Somatic Tracking ist eine Technik, die durch Praktizieren und Wiederholen gelernt wird. Auch benötigt es Zeit und Übung, bis das rationale Konzept von Sicherheit zu einem verinnerlichten Gefühl wird.

Eine Richtlinie, wie häufig und wie lange wir Somatic Tracking praktizieren sollen, gibt es nicht. Das ist sehr individuell und kann sich mit der Zeit auch ändern. Es gibt Betroffene, die mit einer Dauer von wenigen Sekunden anfangen und sie dann nach und nach steigern. Wichtig ist, dass es mit der Zeit immer besser gelingt, dieses Gefühl von Sicherheit und Leichtigkeit zu erleben. Daher wird auch empfohlen, Somatic Tracking dann zu praktizieren, wenn die Schmerzen moderat oder mittelstark sind. Wenn wir uns gerade in einer Phase mit sehr starken Schmerzen befinden, ist es kaum möglich ein Gefühl von Sicherheit und Leichtigkeit zu erleben. Dann wird empfohlen, sich den persönlichen Strategien zu widmen, die helfen, solche Phasen zu überstehen und allenfalls etwas Linderung versprechen (zum Beispiel Hinlegen bei Rückenschmerzen, Räume verdunkeln bei Migräne, …).

Dekonditionierung

Die meisten Betroffenen von chronischen Schmerzen & Symptomen entwickeln konditionierte Reaktionen. Das Hirn assoziiert neutrale Dinge mit Gefahr und reagiert darauf mit Schmerz. Solche Auslöser können ganz verschieden sein, von körperlichen Aktivitäten und Positionen (Gehen, Laufen, Stehen, Sitzen, Liegen, ...) über Wetterphänomene zu Lebensmitteln und vielem mehr.

[Bild: Konditionierte Reaktion] Konditionierte Reaktionen entstehen durch Lernprozesse im Hirn, bei welchen neuronale Pfade gebildet werden. Die gute Nachricht: Durch die Plastizität des Hirns können sie auch wieder abtrainiert werden.12, 13

Zuerst geht es darum, konditionierte Reaktionen als solche zu erkennen und zu verinnerlichen, dass es sich bei der Schmerzreaktion um eine Überreaktion des körpereigenen Alarmsystems handelt. Um zu dieser Überzeugung zu gelangen ist es wie schon oben beschrieben hilfreich, wenn wir Ausnahmen finden. Wenn ich vom Sitzen Rückenschmerzen bekomme und ich mich aber an Situationen erinnern kann, in denen ich schmerzfrei sitzen konnte, spricht das gegen strukturelle Probleme in meinem Rücken. Würde es sich um strukturelle Ursachen handeln, wären die Schmerzen konsistent vorhanden. Bei Umwelteinflüssen (z.B. Wetteränderung, Gerüche, Temperatur) als Auslöser, können wir davon ausgehen, dass es zwar normal ist, dass wir solche Faktoren bewusst oder unbewusst wahrnehmen, dass die Schmerzreaktion darauf aber unverhältnismässig ausfällt.

Das Abtrainieren solcher konditionierten Reaktionen geschieht dann über eine schrittweise Exposition. Wir setzen uns den Auslösern bewusst, aber wohl dosiert aus. Es geht weder darum, dass wir Schmerzen ignorieren, noch darum, dass wir durchbeissen. Wir fangen also klein an (z.B. 50m Fahrrad fahren, 1 Kniebeuge, 1 Bissen eines vermeintlich unverträglichen Nahrungsmittels, …) und steigern langsam. So sammeln wir nach und nach korrigierende Erfahrungen, welche dazu beitragen, dass sich neue neuronale Pfade bilden. Das Hirn lernt, dass die vermeintlichen Auslöser nicht gefährlich sind. Während wir die schrittweise Exposition praktizieren, kann es hilfreich sein, sich selbst Botschaften der Sicherheit zu schicken, das heisst, sich selbst zu beruhigen und sich zu vergegenwärtigen, dass mit dem Körper alles in Ordnung ist. Bei konsequent vermiedenen Aktivitäten kann es hilfreich sein, damit zu beginnen, Bilder oder Videos von anderen Personen bei der Aktivität anzuschauen oder sich selbst dabei zu visualisieren. Erst wenn wir dabei ein gutes Gefühl haben und nicht schon die Vorstellung Angst oder sogar schon Schmerzen auslöst, starten wir tatsächlich mit der Aktivität.

Es ist normal, dass während dieses Prozesses der schrittweisen Exposition manchmal Schmerzreaktionen auftreten. Wenn das der Fall ist, wenden wir Somatic Tracking an, machen uns bewusst, dass im Körper nichts kaputt und die Aktivität oder das Nahrungsmittel nicht gefährlich ist. Es geht um das langfristige Ziel. Für die einzelne Exposition versuchen wir, eine ergebnisoffene Haltung zu kultivieren. Der Erfolg im Einzelfall bemisst sich nicht daran, ob Schmerzen auftreten oder nicht, sondern daran, wie gelassen wir reagieren, falls sie auftreten. Ja, das ist schwierig und gelingt nicht immer. Aber auch das ist ok. Wir trainieren unser Hirn und bilden neue neuronale Pfade, das dauert eine Weile. Der Schlüssel ist Geduld und Mitgefühl mit sich selbst.

Erfahre in Folge 6 und Folge 7 vom Podcast ‘Muss das so wehtun?’ mehr zu konditionierten Reaktionen & wie man sie wieder abtrainieren kann.

Alarmstufe senken

Befindet sich der primitive Teil des Hirns (auch “Reptilienhirn” genannt) im Alarmzustand, werden Schmerzen verstärkt wahrgenommen oder überhaupt erst erzeugt14-16. Problematisch wird dies, wenn der Alarmzustand andauert und von realen Gefahren entkoppelt ist. In diesem Teil der PRT geht es darum zu erkennen, welche Faktoren zu einem solchen allgemeinen (z.T. andauernden) Alarmzustand des Hirns beitragen, um dann bewusst Gegensteuer geben zu können. In anderen Worten geht es darum, herauszufinden, was dazu führt, dass wir uns (chronisch) in höchster Erregung resp. Alarmbereitschaft befinden und sich das Nervensystem (zu oft) im Fight-Flight-Freeze Modus befindet und die Regulationsfähigkeit gestört ist? Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass der primitive Teil des Hirns auf emotionale Gefahren fast gleich reagiert wie auf physische Gefahren11, 16.

[Bild: Alarmstufe]

Im Einzelfall sind die Faktoren sehr individuell, aber es gibt typische Persönlichkeitsmerkmale und Verhaltensweisen, welche bei Betroffenen mit chronischen Schmerzen & Symptomen häufig vorkommen11, 17-19, 22:

  • Perfektionismus, übermässige Gewissenhaftigkeit und Selbstkritik
  • Hohe Ansprüche an sich selbst stellen und sich stark unter Druck setzen
  • Das Bedürfnis, es anderen ständig recht machen wollen (“People Pleasing” und damit Authentizitätsverlust)
  • Schwierigkeiten, für sich selbst einzustehen und anderen gegenüber Grenzen zu setzen
  • Ein geringes Selbstwertgefühl
  • Sich ständig Sorgen machen und alle potenziellen Probleme antizipieren (“Katastrophieren”)
  • Schwierigkeiten, Emotionen und Gefühle wahrzunehmen und/oder auszudrücken

Diese Persönlichkeitsmerkmale und Verhaltensweisen führen unter anderem zu Befürchtungen - also Gedanken der Angst. Solche Gedanken sind oft auch subtil und unbewusst. Eine Übung von PRT ist es, solche Gedanken einzufangen. Wir versuchen solche Gedanken bewusst zu registrieren und zu benennen. Das schafft etwas Distanz und gibt uns die Möglichkeit einen Realitätscheck durchzuführen: Ist das befürchtete Szenario wirklich wahrscheinlich und wenn ja, ist es überhaupt so schlimm, dass es diese Sorgen rechtfertigt?

Betroffene von chronischen Schmerzen tendieren oft nebst den eigentlichen Schmerzen auch allgemein zu negativen Empfindungen und Gedanken2, was das Resultat eines dysregulierten Nervensystems ist. Diese befeuern ihrerseits wieder das Alarmsystem. Wenn man es schafft, hier gezielt Gegensteuer zu geben, das Nervensystem regulieren lernt und sich bewusst auch positiven Wahrnehmungen und Gedanken widmet, trägt das ebenfalls dazu bei, die Alarmstufe des Hirns zu senken20, 21. Alle Arten von positiven Erfahrungen sind dabei hilfreich - zum Beispiel Aktivitäten in der Natur, Meditation, Bewegung oder schöpferische Tätigkeiten. Es können durchaus kleine Dinge sein, die man sich explizit bewusst macht. Zum Beispiel das wärmende Gefühl der Sonne im Frühling, ein angenehmer frischer Wind im Gesicht oder Gerüche, die man während eines Spaziergangs wahrnimmt.

Für diesen Teil der Pain Reprocessing Therapy kann es wertvoll sein, sich mit anderen Therapieformen auseinanderzusetzten, welche individuell dabei helfen können, die Alarmstufe zu senken oder überhaupt zu verstehen, weshalb sie in diesem Masse ausgeprägt ist.

Das ist das Schöne an PRT: Es handelt sich nicht um ein in sich geschlossenes Therapieprogramm, dem man strikt Schritt für Schritt folgen soll. Es ist eine Art Grundlage, ein Grundgerüst für die aus dem ganzheitlichen Mind Body Verständnis abgeleiteten Behandlungskonzepte.

PRT kann damit als eine Art Orientierungshilfe verstanden werden: Neuroplastische Schmerzen & Symptome weisen ein multifaktorielles Ursachenspektrum auf. Je nach Ausprägung, Entstehung und individueller Konstitution können auch andere oder zusätzliche Vorgehensweisen der emotionsfokussierten Psychotherapie wie z.B. Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR) oder Emotional Awareness and Expression Therapy (EAET) hilfreich sein. Diese unterstützen noch stärker als PRT bei der Auflösung unbewusst emotionaler Faktoren, welche zur Entstehung von neuroplastischen Schmerzen & Symptomen beitragen können.2 Auch die von Nicole Sachs entwickelte Technik “JournalSpeak” kann eine wertvolle Ergänzung zu PRT sein. Des weiteren können traumasensitive (Körper-)Therapieformen unterstützend wirken wie z.B. Somatic Experiencing und spezifische Formen des Breathwork. Auch die IFS-Methode und viele weitere stellen eine mögliche Ergänzung dar.

Der Weg entsteht, indem man ihn geht.
PRT ist klar verständlich und eine umfassende Möglichkeit, um zu beginnen. Entlang des Weges zeigt sich, welche Komponenten zu welchem Zeitpunkt erhöhte Aufmerksamkeit benötigen und meist ist es ein Ausprobieren und Herausfinden, was für jemanden persönlich am besten funktioniert und die erwünschten Erfolge bringt. Je intensiver man sich mit der Mind Body Connection auseinandersetzt, desto klarer werden die nächsten Schritte. Eine wohlwollende, mitfühlende und geduldige Haltung sich selbst gegenüber ist auch hier von grosser Wichtigkeit.


Entwickelt wurde PRT von Alan Gordon, dem Gründer des Pain Psychology Center in Los Angeles (USA). Zusammen mit Alon Ziv stellt er das Therapiekonzept im Buch “The Way Out” ausführlich und anschaulich vor.

Es gibt einen Dokumentarfilm über PRT und die “Boulder Back Pain Study”1. Der Film ist äusserst empfehlenswert für Betroffene wie auch für Fachpersonen, welche im Feld der chronischen Schmerzen & Symptome tätig sind. Pain Brain gibt es auf Vimeo zu sehen. Auch in Folge 5 vom Podcast ‘Muss das so wehtun’ gehen wir näher auf die Studie und PRT ein.


Literatur

1Ashar, Y. K., Gordon, A., Schubiner, H., Uipi, C., Knight, K., Anderson, Z., Carlisle, J., Polisky, L., Geuter, S., Flood, T. F., Kragel, P. A., Dimidjian, S., Lumley, M. A., & Wager, T. D. (2022). Effect of Pain Reprocessing Therapy vs Placebo and Usual Care for Patients With Chronic Back Pain: A Randomized Clinical Trial. JAMA psychiatry, 79(1), 13–23.2Gordon, A., Ziv, A. (2021). The Way Out (1. Aufl.). Avery.3Pain Psychology Centre (n.d.). How it works. Stand am 25. November, 2022, von http://www.painpsychologycenter.com/how-it-works.html4Pain Reprocessing Therapy (n.d.). About. Pain Reprocessing Therapy. Stand am 25. November, 2022, von https://www.painreprocessingtherapy.com/pain-reprocessing-therapy5Louw, A., Puentedura, E. J., Zimney, K., & Schmidt, S. (2016). Know Pain, Know Gain? A Perspective on Pain Neuroscience Education in Physical Therapy. The Journal of orthopaedic and sports physical therapy, 46(3), 131–134.6Louw, A., Zimney, K., Puentedura, E. J., & Diener, I. (2016). The efficacy of pain neuroscience education on musculoskeletal pain: A systematic review of the literature. Physiotherapy theory and practice, 32(5), 332–355.7Meeus, M., Nijs, J., Van Oosterwijck, J., Van Alsenoy, V., & Truijen, S. (2010). Pain physiology education improves pain beliefs in patients with chronic fatigue syndrome compared with pacing and self-management education: a double-blind randomized controlled trial. Archives of physical medicine and rehabilitation, 91(8), 1153–1159.8Moseley, G. L., & Butler, D. S. (2015). Fifteen Years of Explaining Pain: The Past, Present, and Future. The journal of pain, 16(9), 807–813.9Clarke, H., Schubiner, H., Clarke-Smith, M. & Abass, A. (2019). Psychophysiologic disorders: Trauma informed, interprofessioal diagnosis and treatment (1. Auflage). Psychophysiologic Disorders Association.10Brinjikji, W., Luetmer, P. H., Comstock, B., Bresnahan, B. W., Chen, L. E., Deyo, R. A., Halabi, S., Turner, J. A., Avins, A. L., James, K., Wald, J. T., Kallmes, D. F., & Jarvik, J. G. (2015). Systematic literature review of imaging features of spinal degeneration in asymptomatic populations. AJNR. American journal of neuroradiology, 36(4), 811–816.11Abbass, A., Schubiner, H. (2018). Hidden from View: A clinicians guide to psychophysiologic disorders (1. Aufl.). Psychophysiologic Press.12Madden, V. J., Bellan, V., Russek, L. N., Camfferman, D., Vlaeyen, J., & Moseley, G. L. (2016). Pain by Association? Experimental Modulation of Human Pain Thresholds Using Classical Conditioning. The journal of pain, 17(10), 1105–1115.13Harvie, D. S., Moseley, G. L., Hillier, S. L., & Meulders, A. (2017). Classical Conditioning Differences Associated With Chronic Pain: A Systematic Review. The journal of pain, 18(8), 889–898.14Bayer, T. L., Baer, P. E., & Early, C. (1991). Situational and psychophysiological factors in psychologically induced pain. Pain, 44(1), 45–50.15Kirwilliam, S. S., & Derbyshire, S. (2008). Increased bias to report heat or pain following emotional priming of pain-related fear. Pain, 137(1), 60–65.16Schubiner, H. & Kleckner, I. The neurophysiology and psychology of pain in psychophysiologic disorders. In Clarke, D.D., Schubiner, H., Clarke-Smith, M. & Abass, A. (2019). Psychophysiologic disorders: Trauma informed, interprofessioal diagnosis and treatment (1. Auflage). Psychophysiologic Disorders Association. S. 45-68.17Engert, V., Smallwood, J., & Singer, T. (2014). Mind your thoughts: associations between self-generated thoughts and stress-induced and baseline levels of cortisol and alpha-amylase. Biological psychology, 103, 283–291.18Wang, J., Korczykowski, M., Rao, H., Fan, Y., Pluta, J., Gur, R. C., McEwen, B. S., & Detre, J. A. (2007). Gender difference in neural response to psychological stress. Social cognitive and affective neuroscience, 2(3), 227–239.19Gruen, R. J., Silva, R., Ehrlich, J., Schweitzer, J. W., & Friedhoff, A. J. (1997). Vulnerability to stress: self-criticism and stress-induced changes in biochemistry. Journal of personality, 65(1), 33–47.20Hurley, D. B., & Kwon, P. (2012). Results of a study to increase savoring the moment: Differential impact on positive and negative outcomes. Journal of Happiness Studies: An Interdisciplinary Forum on Subjective Well-Being, 13(4), 579–588.21Garland, E. L., & Howard, M. O. (2013). Mindfulness-oriented recovery enhancement reduces pain attentional bias in chronic pain patients. Psychotherapy and psychosomatics, 82(5), 311–318.22Maté, G., Maté, D. (2022). The Myth of Normal. Trauma, Illness, & Healing in a Toxic Culture. (1. Aufl.) Penguin.
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